In der Träumergasse
Es blieb heute still im Wohnzimmer der Familie Adam. So konnte man hören, was den Menschen sonst verborgen blieb und sich eher wie knarrende Geräusche anhörte, wenn die Regale sich unter der Last der Bücher flüsternd zueinander wendeten und miteinander plauderten. Die Gardinen wiegten sich träumend im Abendwind, der ab und zu durch das geöffnete Fenster einen freundlichen Gruß schickte. Die Lampen fanden es heute langweilig. Düster schauten sie vor sich hin. Der Fernseher ist kaputt, murmelten sie, Herr Adam ist im Keller und die Kinder sind mit der Mutter bei den Großeltern. Die Kerze auf dem Klavier schüttelte den Kopf.
Last uns gemeinsam etwas singen, schlug sie ihren Halbschwestern, den Lampen vor. Oder, wir könnten auch Liederraten spielen? – Niemand antwortete. Die Kerze hob ihre schmalen Schultern und stimmte ein Lied an. Es erzählte vom Leben ihrer Vorfahren und wie wichtig sie für die Menschen früher waren. Pfui, wie eingebildet du doch bist, rief der Kronleuchter der Kerze zu. Stimmt, die Lampen gerieten in Bewegung. Ja, was gibst du doch an. Euch Kerzen brauchen wir schon lange nicht mehr. Willst dich doch nur wichtig machen. – Als wären sie nun aufgewacht, redeten alle heftig durcheinander. Erschrocken blickte die Kerze in die Runde. – Was wollt ihr von mir? – Die Lampen lachten böse. – Nichts, nichts, sing nur weiter dein Loblied auf die alten Zeiten. – Die Wandlampe schlug ihre Arme gegeneinander. – Ich werde den Takt angeben. – Gut so! – Der Kronleuchter klirrte mit den Glocken; – Ich mache die Zwischentöne. Stehlampe, du passt auf, dass die Kerze auch richtig singt. Ansonsten gibst du ihr einen Schlag. Du stehst ihr am nächsten. – Nun los Kerze sing, sing schon weiter! – Es war wieder der Kronleuchter, der alles eingerührt hatte. Er hatte sich besonders gelangweilt und die Regie übernommen. Nun kommandierte er herum.
Im Wohnzimmer brach ein Spektakel los.. Die Wandlampe fuchtelte mit den Armen dass es nur so knackte. Die Stehlampe stupste die kleine Kerze von allen Seiten. Sie hatte Mühe sich gerade zu halten. .
Entsetzt fuhren die Gardinen aus ihren Träumen. Die Möbel hörten erschrocken auf zu flüstern.
Plötzlich schrie die Kerze: Ich mache das nicht mehr mit. – Ihre Stimme bebte vor Aufregung. Für einen Moment wurde es ganz still. Die Kerze schaute ängstlich auf die Lampen. Dann fasste sie allen Mut zusammen und rief: Kronleuchter, du hängst dort oben an der Decke und schaust auf mich herab und trotzdem bin ich noch nie auf die Idee gekommen, dass du besser bist als ich. Und du Wandlampe, sprach die kleine Kerze schnell weiter, wenn Herr Adam mich nach dem Klavierspiel ausbläst, weil er dich anschaltet und sich zu dir setzt, da bin ich überhaupt nicht ärgerlich. Die WandlampeJeder hat doch hier seinen Platz. Sie drehte sich zur Stehlampe und machte eine Pause. – Weißt du, sagte sie leiser, dich beneide ich schon manchmal, weil Herr Adam bei dir so viele Bücher liest. Die Zeit in der wir Kerzen zum Lesen wichtig waren ist wirklich schon lange vorbei. Damals waren wir alle sehr gebildet. Du könntest uns ruhig erzählen was du so mitliest, wenn Herr Adam das Buch aufschlägt. Dann hätten wir bestimmt keine Langeweile mehr wenn hier mal nichts los ist. Die Stehlampe
Die Stehlampe hatte keine Lust zu erzählen. Lesen fand sie langweilig. Sie schielte dabei immer zum Fenster hinaus. So begann sie aufs Neue auf die Kerze zu schimpfen. Hör doch auf, rief sie. Merkst du nicht wie du die Menschen veränderst? In deiner Nähe leuchten ihre Augen geheimnisvoll und irgendwie sind sie netter zueinander. Du bist eine Hexe. Von Hexen hatte sie mal erfahren, als Herr Adam ein Buch über das Mittelalter las. Die wurden alle verbrannt weil sie klug waren. – Stimmt, eine Hexe! – Der Kronleuchter mischte sich nun auch wieder ein. – Nicht einmal der Glanz von uns Kronleuchtern erreicht dies. Dabei leuchten wir auf allen Festen. Ja, du bist eine Hexe. Hexe, Hexe, riefen nun alle Lampen auf einmal. Und wenn sie ausgeblasen wird heult sie, schrie die Wandlampe dazwischen. Und gefährlich ist sie. Nie weiß man was passiert wenn sie brennt. Immer muss man aufpassen. Richtig, – neulich wären wir alle beinahe verbrannt. Die Lampen waren in Hochform. Die kleine Kerze stand ganz still auf ihrem Platz. Das mit dem Beinahe-Verbrennen stimmte wirklich. Aber das war nicht ihre Schuld. Die Kinder hatten trotz Verbot herum gespielt. Nur gut, das Herr Adam dazu kam.
Aber das ist kein Grund mich zu beschimpfen, dachte sie traurig. Plötzlich fühlte sie sich ganz klein und einsam.
Die Wohnungstür klappte und pfeifend trat Herr Adam ins Zimmer. Er sah zufrieden aus und das bedeutete, dass er gleich Klavier spielen würde. Und wirklich. Er klappte den Deckel hoch, spielte ein paar Töne, zündete die Kerze an und löschte den Kronenleuchter. Schon nach wenigen Minuten hatte die Kerze ihren Kummer vergessen. Sie strahlte. Zärtlich legte sich ihr Licht um jeden einzelnen Gegenstand. Geheimnisvoll leuchtete alles auf und die Kerze dachte: Ich muss meine Halbschwestern umarmen. Sie sollen wissen, dass ich ihnen gut bin. Aufgeregt flackerte sie. Dann legte sie behutsam ihr Licht um die Stehlampe. Diese war jedoch noch immer sauer. Sie wich aus und verlor dabei das Gleichgewicht. Der Versuch sich am Klavier festzuhalten misslang. Sie rutschte ab und riss die Kerze mit sich. Diese löschte erschrocken ihr Licht aus. Dicke Tränen rollten auf den Teppich. Herr Adam brach das Klavierspiel ab. Schimpfend tastete er sich zum Lichtschalter. Der Kronleuchter grinste schadenfroh.
Eine schöne Bescherung, murmelte Herr Adam und kratzte das Wachs vom Teppich.
Die Lampen kicherten. Hochmut kommt vor dem Fall, riefen sie leise zur Kerze. Ach dachte diese, wäre ich doch auch eine Lampe. Dann würde mir so etwas nicht passieren. Lampen sind viel besser als ich.Unverständliches Zischeln drang an ihr Ohr. Die Stehlampe stand wieder an ihrem Platz. Gib bloß nicht so an, zischte sie zum Kronleuchter. Du wiegst dich in deinem Schein, als wärest du was Besonderes. Dabei hängst du dort oben nur, weil es für Kronleuchter keinen anderen Platz gibt. Die Kerze stutzte. Was passiert denn jetzt?
Der Kronleuchter lachte und hob lässig seine vielen Arme. Solche wie mich braucht man immer, grinste er. Dabei blähte er sich so auf, dass ihm gleich zwei Birnen platzten. Herr Adam hob erschrocken den Kopf. Jetzt reichts aber, hier scheint es heute zu spuken. Ich gehe ins Bett. Bloß gut, dass morgen die Kinder wieder da sind. Kopfschüttelnd drehte er das Licht aus und verschwand ins Schlafzimmer. In der Wohnstube wurde es still. Keiner hatte mehr Lust etwas zu sagen.
Es war die Zeit des Vollmondes. Vorsichtig schaute dieser ins Zimmer. Das tat er immer wenn er in der Träumergasse vorbei kam. Schnell schlossen die Lampen ihre Augen. Der gute Alte sollte nicht sehen, dass sie keinen Schlaf fanden. Keiner hatte den lieben guten Mond fotografiert. Das gefiel dem kleinen Känguru gar nicht. Es holte seinen Stift und malte ihn so wie er gerade ohne Wolkenvohang in die Träumergasse hineinleuchtete. Danke, Kängi!
Nanu, der Mond schaute in die Runde. Was ist denn hier los. – Er schaute zur Kerze. Er kannte ihre Vorfahren ganz genau. Schon oft haben sie sich darüber unterhalten und viel gelacht, weil es aus dieser Zeit viele Gruselgeschichten gibt. Die Kerze blinzelte erschrocken mit den Augen, kniff sie dann aber noch fester zu.
Aha, murmelte er, während er die Stehlampe anleuchtete, hier gab es Streit. Oje, sie werden eine lange und unruhige Nacht haben, denn mit Zorn oder Trauer im Herzen schläft es sich schlecht. Er nahm eine dicke Wolke und verschwand dahinter. Das machte er immer so wenn er über etwas nachdachte. Zum Nachdenken braucht man Ruhe, sagte er sich und verschwand.
Die Kerze blinzelte. Still war es und noch immer sehr dunkel. Sie öffnete die Augen. Nun ist er weg , flüsterte sie enttäuscht. Auch die Lampen blickten traurig zum Fenster. Sie ließen ihre Köpfe noch tiefer hängen. Kerze, rief die Wandlampe. Die Kerze schwieg. – Kerze! Die Wandlampe rief lauter. Die Kerze drehte sich zu ihr flüsterte vorsichtig: Ja? Kerze was meinst du, du kennst ihn doch am besten von uns allen, was meinst du wird er nie wieder kommen – nieeeeeee wieder? – Ich weiß nicht antwortete die Kerze leise, ich weiß nicht. er sah so traurig aus. Eher nachdenklich, mischte sich der Kronleuchter vorsichtig ein. Ich habe das Gefühl, die Stehlampe zögerte. Na, sag schon, murmelte die Kerze. Ich habe das Gefühl das er uns durchschaut hat. Als er bei mir war hatte ich die Augen ganz fest zugekniffen. Ich habe so getan als würde ich fest schlafen. – Ach, seufzten die anderen wieder, wenn er doch bloß wirklich nur nachdenkt. Dann kommt er vielleicht wieder.
Gerade in diesem Augenblick hatte der Mond einen Entschluss gefasst. Er wusste zwar nicht wie er helfen konnte wenn alle weiter so täten als würden sie schlafen. Aber ein Weilchen würde er sich einfach bei ihnen aufhalten. Viel Zeit war nicht mehr und bald musste er hinter der alten Schule verschwinden. Aber bis dahin. Schwupp schob er die Wolke weg und schaute ins Zimmer.
Da, rief der Kronleuchter! Ja, antwortete die Wandlampe! Er ist da, rief die Stehlampe. Und auch der Kerze wurde es ganz warm vor Freude. Lieber guter Mond, da bist du ja wieder, riefen alle gleichzeitig. Sie hatten völlig vergessen, dass sie sich gestritten hatten. Der Mond strahlte. Sein Licht leuchtete soweit die Strasse hinunter, dass auch der Hund an der Wegkreuzung ihn freudig anbellte.
Alle lachten. Nun konnten sie auch erzählen was sich zugetragen hatte. Der Mond sagte: So, so und hm, hm. Dann fügte er vorsichtig hinzu: So ist das wohl wenn man sich langweilt – weil nichts passiert woran man sich freuen kann. Wir sollten darüber reden. Aber heute muss ich los. Die alte Schule wartet schon. Schnell bekam jeder einen dicken Gutenachtmondkuss, und langsam wurde es wieder dunkel im Zimmer.
Danke lieber Mond rief die Kerze erleichtert hinterher. Ja danke, danke, danke schlossen die Lampen sich an. Ich bin so froh, dass alles wieder in Ordnung ist, flüsterte die Kerze ihren Halbschwestern den Lampen zu. Ja seufzten diese. Es war ein aufregender Tag. Und morgen kommen die Kinder wieder.
Das wird schön. Ich bin schon sehr neugierig was sie berichten werden. Schade dass wir ihnen unsere Geschichte nicht erzählen können. Und das der Mond ein richtiger Freund ist. Und wenn er mal verschwindet, dass er dann einfach nachdenkt. Ja, schade ist das schon sehr, flüsterte die Kerze – aber wir wissen das und das ist doch auch wichtig. Stimmt, stimmt, waren sich alle einig. Nun lasst uns schlafen. Ich bin schon sehr müde. Der Kronleuchter schaute zu allen liebevoll herab. Und bitte, es tut mir leid, Kerze. Kannst du mir verzeihen. Die Kerze nickte heftig mit dem Kopf. Beinahe wäre sie dabei fast wieder vom Klavier gefallen. Ja, Kronleuchter, es ist alles gut. Zufrieden schlossen alle die Augen. Und hier und dort war ein: Ach-ja-seufzer zu hören Nur die Möbel ächzten noch eine Weile unter der Last der Bücher. So jedenfalls hörte sich das für den Menschen an. In Wirklichkeit aber flüsterten sie noch einige Zeit miteinander. Träumend wiegten sich die Gardinen in den Morgen hinein.
Dieses Märchen erzählte Margarete Noack.
Fotos: Rainer Sturm/pixelio.de
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